„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“
(Karl Valentin)
Meine Bilder entstehen geplant und dennoch zufällig, gesteuert aber auch unbewusst, kalkuliert und gleichzeitig intuitiv. Im Zentrum meines Interesses steht die sinnliche Qualität des Sehens und nicht eine Botschaft, die ich genauso gut auch mit Worten formulieren könnte. Intendiert sind keine mit Hilfe von Pinsel und Leinwand gemachten Aussagen über die Welt, in der wir leben, es geht mir nicht um Mitteilungen über die Wirklichkeit außerhalb der Kunst, sondern es geht mir um geplante Experimente, bei denen das spielerische Erproben der Mittel, der Materialcharakters der Kunst, das komplexe Zusammenspiel von Planung und Unberechenbarkeit, Konzept und Zufall, Steuerung und Improvisation eine große Rolle spielt.
Ich arbeite mit unterschiedlichsten Materialien und Substanzen z.B. Öl-, Acryl- und Wasserfarben, Bitumen, Tinte, Schellack und Beizen, Kreiden, Pigmenten, Steinmehlen und Eisenspänen, Kohle und Asche, Tee und Kaffee. Eingesetzt werden: Misch-, Staub- und Collagetechniken, Buchstaben und Schriftzeichen, bedrucktes und nicht-bedrucktes Papier, Fundstücke, Metall und Plastik, Hanf und Karton, aber auch Wachse, Öle, Alkohol und Essig. Neben den klassischen Malerrequisiten, also neben Pinseln und Quast, benutze ich die eigenen Finger aber auch verschiedenartigste Maurerutensilien, Spachtel, Rakel und Walze, Sprühflaschen, Schmirgelpapiere und Kratzwerkzeuge. Als Arbeitsgrundlage verwende ich: Leinwand, Papier und Pappe, Holz und Metall.
Von Andy Warhol kann man lernen: „Denke nicht an das Erschaffen von Kunst, sondern mach es einfach. Lass die Anderen entscheiden, ob es gut oder schlecht ist, ob sie es lieben oder hassen. Während sie sich darüber entscheiden, erschaffe noch mehr Kunst.“
Der Entstehungsprozess eines Bildes zieht sich über Tage, manchmal Wochen, ab und an auch Monate hin. Material wird auf- und zum Teil wieder abgetragen, es wird zum Fließen und Interagieren gebracht, es wird gemalt, gespachtelt, geklebt, gespritzt, getropft, gerissen, geritzt, gekratzt, getrocknet, gehärtet und wieder zerstört. Es gibt lasierende und pastose Farbaufträge, Schüttungen und Schichtungen, gezielte Verschmutzungen und gewollte Verletzungen. Alte Schichten werden von neuen Schichten überzogen, bleiben jedoch in der Tiefenstruktur des Bildes, manchmal sichtbar, manchmal unsichtbar, erhalten und tragen so zur Tiefe eines Bildes bei.
So ergeben sich komplexe, vielschichtige, reliefartige und häufig archaisch anmutende Bildlandschaften, die nicht nur visuell, sondern auch haptisch erfahren werden können und die sowohl den Materialcharakter wie auch den Entstehungsprozess des Bildes thematisieren. Im Fokus steht die Wechselwirkung von Spuren, Texturen, Kontrasten und Schichtungen, das Zusammenspiel von Farbauswahl und Formensprache, die Interaktion von Strukturen, Materialien, Farben und Linien, die Synergie von Licht und Schatten.
Ein Bild kann als kunstvolle Abbildung der außerhalb der Bildleinwand bestehenden Welt daherkommen, es kann genauso gut aber auch gegen das reibungslose Wiedererkennen einer außerhalb des Bildes bestehenden Realität rebellieren. Ich habe mich für Letzteres entschieden. Intendiert sind rätselhafte, maximal deutungsoffene Sehlandschaften, die den Materialcharakter des Bildes und den Prozess der Bildgestaltung in den Vordergrund stellen, die das auf Bedeutung und Sinnhaftigkeit angelegte semantische Interpretiertwerden außer Kraft setzen und gleichzeitig aktives und wahrnehmungssensibles Sehen einfordern.
Von Edward Hopper, der schweigend die großen Hopper-Ausstellungen über sich ergehen ließ und kommentarlos den steten Wertanstieg seiner Werke beobachtete, wissen wir: „Wenn ich es in Worten sagen könnte, gäbe es keinen Grund zu malen.“
Nicht gegenstandsorientierte Malerei entzieht gängigen, im Alltag erprobten Wahrnehmungsroutinen den Boden und betont damit zugleich die aktive Rolle der das Bild Betrachtenden. Wie ein Bild wirkt, welche Resonanz es auslöst, was aus ihm gemacht wird, all das ist das Ergebnis der Interaktion zwischen dem Bild und seinem Gegenüber. Daraus folgt, dass die Wirkung, die ein Bild erzeugt, immer ganz viele, sehr unterschiedliche, sowohl rationale wie emotionale Facetten hat. Das, was Sehende aus einem Bild machen, ist abhängig von ihren individuellen Perspektiven, persönlichen Erfahrungen, emotionalen Befindlichkeiten und natürlich auch von ihren kulturellen Prägungen.
Dabei haben vor allem Bilder, die sich dem störungsfreien Abgleich mit der außerbildlichen Welt widersetzen, das Potential, für die Ästhetik des Zusammenspiels von Farben und Linien, Materialien, Formen und Strukturen, für die Qualität des scheinbar Zweitrangigen, für die Wertigkeit des vermeintlich Marginalen zu sensibilisieren. Voraussetzung dafür allerdings ist, dass sich die Betrachtenden eines Bildes vorurteilsfrei und wahrnehmungssensibel auf die angebotenen Sehlandschaften einlassen. Ein Bild kann lediglich Impulse geben, es kann dazu einladen, sich auf ein Sehabenteuer einzulassen.
Fernando Botero hat es in wenigen, aber prägnanten Worten auf den Punkt gebracht: „Nicht die Abbildung der Wirklichkeit ist das Ziel der Kunst, sondern die Erschaffung einer eigenen Welt.“
Vieles, was für meine Bilder gilt, gilt auch für meine Fotografien, obwohl ich beim Fotografieren nicht auf die Abbildung einer außerhalb des Bildes bestehenden Welt verzichte. Auch meine Fotografien laden die Betrachtenden ein, sich wahrnehmungssensibel auf Spurensuche zu begeben. Unabhängig davon, ob das Fotografierte reibungslos und störungsfrei auf etwas außerhalb des Fotos Existierendes bezogen werden kann oder aber ein Abgleich mit der Welt außerhalb des Fotos nicht ohne weiteres herstellbar ist, meine Fotografien fordern dazu auf, andere und neue Sichtweisen auf ganz alltägliche, häufig übersehene, im temporeichen Rhythmus des Alltags oft nicht wahrgenommene Dinge des Lebens zu erproben.
Festgehalten durch die Kraft des Kameraauges, eingefroren zu einer Fotografie werden die Gegenstände außerhalb des Bildes auf ihre Oberflächlichkeit reduziert, zugleich aber werden sie genau dieser Oberflächlichkeit, ihrer scheinbaren Belang- und Nebensächlichkeit enthoben. Der Blick durch eine Kamera bietet die Chance für veränderte, von normierten und automatisierten Seh- und Wahrnehmungsmustern befreite Perspektiven, beschert die Möglichkeit, für überraschende Augenblicke, eröffnet die Aussicht auf grenzüberschreitendes, von eingeschliffenen Seh- und Wahrnehmungsroutinen befreites Sehen.
In dem Maße, in dem die ‚Wieder‘-Erkennbarkeit der fotografierten außerbildlichen Welt erschwert wird und sich der mögliche Bedeutungsgehalt eines fotografierten Objekts nicht unmittelbar erschließt, wird die reibungslose, automatisierte Wahrnehmung gestört und stattdessen an die Entdeckerfreude der Betrachtenden appelliert. Ein Bildausschnitt, der aus seinem Kontext herausgelöst, befreit und damit für die Betrachtenden ‚Fremd-Gemacht‘ wird, das Spiel mit Perspektiven, Räumen, Oberflächen und Tiefenstrukturen, die Wechselwirkung von Licht und Schatten, das Verhältnis von Spiegelungen und Reflexionen, all das verweist auf die verborgene Magie der Spuren der Zeit, akzentuiert die latente Ästhetik des Alltäglichen, eröffnet Sehlandschaften jenseits von Kausalität und Ratio.
Für den Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein steht fest: „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Für ihn sind die Grenzen unserer Sprache zugleich die Grenzen unserer Welt. Ich behaupte: Wo die Kraft der Worte endet, da beginnt die Magie der Bilder.